Kapitel 2 - by Andy Dohm ("Dio")

 

Am morgen wurde Doyle von einem penetranten Piepsen geweckt. Er blickte um sich und war im ersten Moment sehr erleichtert: Tatsächlich schienen die Erscheinung der letzten Nacht nur Hirngespinste gewesen zu sein die ihn, im Nachhinein betrachtet, doch sehr an die Lieblingsbücher seine Jugend erinnerten.

Einen Moment später bedauerte er die Entzückung, die er bei diesem Gedanken verspürte: Wo war er?

Er lag auf einem hellbraunen Boden, der aus einem weichen Gummi zu bestehen schien - zumindest gab er leicht nach, wenn man darauf drückte. Auch die Wände schienen aus diesem Material zu bestehen, zumindest unterschieden sie sich optisch nicht vom Boden. In dem schummrigen Licht, dass nur aus einer einzigen Quelle, einem knisternden Strahler in einer Ecke, strahlte, erkannte Doyle eine Tür an der ihm gegenüberliegenden Wand. Er erschrak. Die Tür hatte keine Klinke. Er war gefangen.

Mühsam versuchte Doyle sich zu erinnern, wie er hier her gekommen war - doch in seiner Erinnerung herrschte Chaos, in dem keine kausalen Abläufe mehr erkennbar waren. Ein Vorsprechen, Rauch, eine Wiese, wahnsinnige Fabelwesen, Tabak, Schlaf. Und schließlich dieser einsame Raum. Doyles Körper schmerzte. Er richtete sich auf und ging zu Tür. In Augenhöhe war ein Türspion angebracht. Er spähte hindurch - und sprang erschreckt zurück. Er rieb sich die Augen... Seine Sinne mussten ihm einen Streich spielen. Was er gesehen hatte, konnte einfach nicht sein. Er blickte erneut durch das Guckloch... Nein, seine Sinne schienen völlig in Ordnung zu sein. Was er sah, war real...

Durch den Türspion blickte Doyle in eine Halle, die sich über sein gesamtes Blickfeld erstreckte. Die Halle war mit ihrem sandigen Boden, eine gewölbten Decke und verglasten Wänden komplett in einem Magenta-Ton gehalten, der spontan Übelkeit in Doyle aufkommen ließ. Was aber am meisten verwunderte war die Erscheinung des Bildes. Die Bilder, die sein Auge erreichten, waren nicht wie erwartet Konkav verzerrt, sondern erreichten ihn gestört, als würde er durch ein typisches 60er-Jahre-Klofenster schauen. So konnte Doyle auch nicht erkennen, was sich hinter den Fenstern der Halle verbarg - und auch das Gesicht Patricks, der Links von der Tür auf einer Bank saß und paralysiert-dümmlich in der Gegend herumstarrte, war nicht einwandfrei zu erkennen. Patrick? Doyle begann gegen die Tür zu hämmern und zu treten - doch alles was man hörte war ein leises, dumpfes Pochen. "Patrick!" rief er. "PAAAAAAAATRIICK! Mach die Tür auf!". "Warum schreist du denn so?" erschien eine Stimme von der anderen Seite. Manchmal konnte sein Freund ihm echt den letzten Nerv rauben, dachte Doyle! "Nun mach endlich die Tür auf!" schrie er hysterisch. "Nun mach endlich die Tür auf!" äffte Patrick ihn nach. "Patrick zu dies, Patrick zu das... Ich komm ja schon....!". Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür... Doyle war noch nie so froh, in die Augen seines Freundes zu sehen. "Patrick, was ist passiert?"

"Naja - du hast gesagt, ich soll die Tür aufmachen - und ich hab es...!"

"Nein, du Idiot! Ich meine: Warum sind wie hier?"

"Woher soll ich das wissen?"

"Und seit wann bist du wach?"

"Seit heute morgen... Aber irgendwie... Kann es sein, dass wir immer noch Morgen haben?"

Doyle schaute auf seine Uhr. Tatsächlich. 6.23 Uhr. Er fühlte sich müde.

"Patrick, lass uns schauen, dass wir aus dieser Halle herauskommen. Mir wird langsam aber sicher übel."

"Das brauchen wir gar nicht zu versuchen!"

"Sag bloß, wir sind hier eingesperrt!"

"Nöö.... Wieso? Aber die Tür da ist nur angelehnt."

"Ahhh... OK... Und was ist dahinter?"

"Keine Ahnung?!"

Doyle wollte noch nachfragen, warum es Patrick denn nicht in den Sinn gekommen war, einmal hinter die Tür zu schauen - aber im letzten Moment besann er sich: Es hatte wohl keinen Sinn, in seinem Gemütszustand mit Patrick zu diskutieren. Er würde sich doch nur ärgern. Also ersparte er sich jeden Kommentar und ging auf die angelehnte Tür zu. Die Tür befand sich nur ca. 20 m neben dem Raum, aus dem Patrick ihn gerade befreit hatte - aber Sonnenstrahlen, die durch die Glasfenster der Tür fielen, verrieten, dass hinter ihr nicht ein weiterer "Gummiraum" zu finden war. Er spähte hinaus.

Die gemäßigten Farben schmeichelten ihren Augen. Ein langes, hellgelbes Kornfeld erstreckte sich vor ihnen. Einige Windräder standen im Feld und verweigerten ihren Dienst. Der hellblaue Himmel war wolkenlos. Etwa 50 m von der Halle, in der Doyle und Patrick aufgewacht waren, stand eine kleine Hütte. Sie war sehr windschief gebaut und schien jeden Moment auseinander zu fallen. Plötzlich war wieder ein lautes Piepsen zu hören - und Doyle erinnerte sich an das Geräusch, das ihn geweckt hatte. Es schien aus der Hütte zu kommen. Doyle blickte zu Patrick, der blinzelnd in die Sonne schaute. Patrick überlegte: "Meinst du, dass es hier irgendwas was zu essen gibt?". Doyle schüttelte den Kopf. Heute war wirklich kein guter Tag, um mit seinem Freund zu diskutieren. Er ging langsam auf die Hütte zu. Das Piepsen wurde lauter... Doyle spähte durch die Tür - und wurde zurückgestoßen... Ein alter Mann mit langem, schwarzgrauen Bart lief, auf einer fremden Sprache fluchend, an ihnen vorbei... Doyle und Patrick hatten das Gefühl, den Mann schon einmal irgendwo gesehen zu haben - aber bevor sie ihn fragen konnten, war er auch schon wie von der Bildfläche verschwunden. Er musste ein Meister im Verstecken sein, dachte sich Patrick. Sie betraten die Hütte - und staunten: Wieder einmal waren ihre Erwartungen übertroffen worden. Im Inneren der Hütte befand sich eine Kamera auf einem kleinen Stativ, die an einen Computer angeschlossen war. Ihr Objektiv zeigte auf einen kleinen Tisch, auf dem ein Standmikrophon aufgebaut worden war. Hinter dem Tisch hing ein Poster, auf dem eine Bücherwand zu sehen war. Ein richtig kleines TV-Studio.

"Ob hier das Vorsprechen stattfindet?" fragte Patrick. Doyle beruhigte sich. Patrick würde schon wieder werden.

In der Ecke der Hütte stand ein kleiner, rechteckiger Kasten, den Doyle schnell als Quelle des Piepsens ausgemacht hatte. Seine Hülle bestand komplett aus Aluminium. Am oberen Rand war ein roter Knopf angebracht, der unaufhörlich im Takt des Piepsens leuchtete. Obwohl Doyle völlig klar war, dass er leichtsinnig handelte, und obwohl so ziemlich alles in seinem Verstand dagegen sprach, in einer kleinen Hütte mitten in einem Kornfeld im Nirgendwo neben einer rosanen Halle, in der er in einem Raum aus Gummi eingesperrt war, auf einen Knopf an einer Maschine zu drücken, die laut piepste und von der er keine Ahnung hatte, was sie bewirken könnte, konnte er sich nicht beherrschen. Er drückte auf den Knopf. In diesem Moment wurde ihm Schwarz vor Augen...